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Was ist Mathematik?

 

Du bist entweder bereits ein Fan der Mathematik oder meinst vielleicht, dass du damit wenig anfangen kannst. Im ersteren Fall kann ich dir das Buch „Was ist Mathematik“ von Richard Courant und Herbert Robbins empfehlen, das im Springer-Verlag erschienen ist. Hier findest du eigentlich alles, was zur Mathematik gehört, vielleicht mit Ausnahme der Algebra. Eine einfache Einführung in dieses Gebiet kenne ich nicht. Ein klassisches und verständliches Lehrbuch ist die „Algebra“ von B. L. van der Waerden, ebenfalls aus dem Springer-Verlag, das aber erst im Studium empfehlenswert ist. Wer sich ein wenig für die Entstehung der Algebra interessiert, findet in der „Vollständigen Anleitung zur Algebra“ von Leonhard Euler, die bei Reclam erschienen ist, wertvolle Hinweise. Eine bekannte mathematische Formelsammlung ist die von I. N. Bronstein und K. A. Semendjajew aus der B. G. Teubner Verlagsgesellschaft.

 

Falls du zur zweiten Menge gehörst, können dir vielleicht folgende Ausführungen helfen. Zum einen: es gibt kaum eine spezielle Begabung für die Mathematik, wenn mal von ganz überragenden Wissenschaftlern abgesehen wird. Zum anderen: Mathematik kann man leicht lernen. Das fällt mit den bekannten Schulbüchern, zum Beispiel dem „Lambacher Schweizer“ vom Ernst Klett Verlag, manchmal etwas schwer. Hier steckt viel wertvolle Mathematik drin, aber manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, da ja auch nicht unbegrenzt Zeit zur Verfügung steht, insbesondere bei 12 Schuljahren bis zum Abitur. Bekannte einführende Werke in die Mathematik sind von Albrecht Beutelspacher, Keith Devlin, Herbert Meschkowski oder Heinrich Tietze erschienen. Ein anderer Weg wird in der „Einführung in die Mathematik“ von U. Kraeft aus dem Shaker Verlag beschritten, das den ersten Band eines inzwischen vollständigen Lehrgangs der Mathematik bildet, der auch einfache Übungsaufgaben umfasst. Hier werden das ganze mathematische Schulwissen und der Übergang zum Studium in leicht verständlicher kurzer Form dargestellt. Daraus zitiere ich wie folgt den Anfang:

 

„Sicher hat der Leser schon häufig die Bitte gehört oder geäußert: “Das möchte ich verstehen”. Hier könnte eine lange philosophische Betrachtung erfolgen, was unter „Verstehen“ zu verstehen ist. Nur so viel: Wir meinen zu verstehen, warum es Tag und Nacht gibt. In Wirklichkeit verbirgt sich hinter diesem sogenannten Verständnis einerseits eine Erfahrung, die uns sagt, dass wir nach der Nacht den Tag mit dem Aufgang der Sonne erwarten dürfen; andererseits kennen wir physikalische Formeln, die im Einklang mit dieser Beobachtung stehen. Ein wirkliches Verstehen ist das sicher ebenso wenig wie der Versuch, sich ein Weltall ohne Intelligenz, eine Gegenwart (es gibt nur ein Vorher und Nachher), ein „Äußeres“ des Universums oder eine Realität vor dessen Erschaffung vorzustellen.

 

In der Mathematik sind einige Besonderheiten zu beachten. Zum einen darf diese nicht mit der physikalischen Realität verwechselt werden. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist der physikalische Raum, der zeitabhängig ist, was durch die Popularität von Albert Einstein inzwischen jedes Kind weiß, im Vergleich mit einem mathematischen Raum, der nicht einmal ortsgebunden ist. Diese Unterscheidung ist sehr wichtig und hilfreich beim Verstehen.

 

Mathematische Ergebnisse finden ihre Anwendungen in Naturwissenschaften, Technik, Wirtschaftswissenschaften, Statistik und vielen anderen Disziplinen, die ohne Mathematik und Rechner kaum noch vorstellbar sind. Hier handelt es sich jedoch immer um Modelle, die mit einer gewissen Genauigkeit mit Beobachtungen übereinstimmen. Die Modelle bleiben auch bei bester Übereinstimmung nur Modelle. Irgendeine Wahrheit oder Wirklichkeit ergibt sich daraus nicht, nur eine Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung. Selbst eine sehr genaue Längenmessung ist mit einem Fehler behaftet, der nach dem Modell abgeschätzt werden kann.

 

Was ist somit eigentlich Mathematik. Unter allen Bedeutungen ist die praktische Bedeutung einer Sprache an erster Stelle zu nennen. Wer sich einmal in der Schule mit den sogenannten eingekleideten Aufgaben beschäftigen musste, wird dem sofort zustimmen. Ebenso liegt die Anwendung in Formeln auf der Hand. Mit einer Formel brauche ich auch als Mathematiker nicht lange eine Rechenvorschrift zu entwickeln; ich kann die Formel nach Prüfung der Voraussetzungen direkt anwenden, ohne viel zu überlegen. Die Objekte dieser mathematischen Sprache sind Zahlen. Um mit diesen umzugehen, gilt es einige Regeln zu lernen. Ein Verstehen mag hier auf den ersten Blick nahe liegen, bei näherer Betrachtung ist dies jedoch außerordentlich schwer; andererseits zeigt sich die eigentliche Schönheit besonders in diesem Teilgebiet der Mathematik, das Zahlentheorie genannt wird. Besonders schwierig werden die Betrachtungen in der Mengenlehre, die allenfalls in einigen Anwendungen einfach ist. Eine weitere rein mathematische Disziplin ist die Algebra, deren einfachste Gleichungen in diesem Buch (Einführung in die Mathematik) behandelt werden. Die Geometrie, Vektorrechnung, Infinitesimalrechnung (Näherungen bei beliebig langer Rechnung), Wahrscheinlichkeitslehre und Statistik, die ebenfalls Themen des Buches sind, leiten zu den Anwendungen über.“

 

Kommen wir zurück zur Frage „Warum brauchen wir die Mathematik“? In der Entwicklung der Menschen boten Zahlen und einfache Rechnungen Vorteile bei der Ernährung, der Vorratshaltung und dem Bauen. Die kunstvollen altägyptischen Bauwerke sind mit verhältnismäßig einfachen mathematischen Mitteln ausgeführt worden. Beginnend mit Thales, Pythagoras und den Griechen bis hin zu Euklid und Archimedes wurde die Mathematik streng begründet und diente zur Ausführung immer komplizierterer Aufgaben bis hin zu der Berechnung der Flächen und Rauminhalte von krummlinig begrenzten Formen. In späteren Jahrhunderten wurde die Mathematik insbesondere für den Handel weiterentwickelt. Der ungeheure Aufschwung ab etwa 1500 führte letztlich zu unseren Anwendungen in der Wissenschaft und Technik bis hin zum Computer. Mathematik ist heute in allen Fachbereichen unverzichtbar, wobei die Nutzung in der Physik, Astronomie oder Technik wohl jedem klar ist; wie sollte zum Beispiel eine Geschwindigkeit anders angegeben werden als mit einer Formel, mit Zahlen und Einheiten. Aber auch zum Beispiel in der Chemie, Mineralogie, Geologie, Geographie, Biologie, den Sprach- oder Rechtswissenschaften bis hin zur Medizin ist die Mathematik heute ein fester Bestandteil. Es ist daher nahezu unmöglich, einen Beruf zu wählen, „in dem man keine Mathematik braucht“. Zum Beispiel waren einige der berühmtesten Mathematiker, vor allem früherer Jahrhunderte, hauptberuflich Juristen.

 

An wenigen einfachen Beispielen sei die Bedeutung der Mathematik erläutert:

In der Medizin können statistische Untersuchungen über den Grad der Wirksamkeit eines Medikaments entscheidend sein;

im Bauwesen erfordern die statische Berechnung oder die Entwicklung und Prüfung von Werkstoffen umfangreiche mathematische Berechnungen;

bei der Entschlüsselung von alten Sprachen kann die Statistik zum Beispiel der Häufigkeit von Zeichen entscheidende Hinweise geben;

Geoinformationssysteme sind ohne mathematische Grundlagen kaum denkbar;

eine Bank könnte ohne mathematische Kenntnisse nicht erfolgreich sein;

bei Wahlen sind Meinungsumfragen nach statistischen Gesichtspunkten hilfreich;

selbst in der Kunst gibt es mathematische Anwendungen, die übrigens in Form der Symmetrien sehr alt sind;

Aussagen über die Gestalt und Entwicklung des Universums bis hin zu religiösen Fragen sind ohne Mathematik nicht möglich.

 

Es ist nun wenig sinnvoll, die reine, von Anwendungen losgelöste Mathematik als eine Disziplin für Fachleute zu betrachten. Einerseits sagt man mit Recht, dass die Theorie von heute die Praxis von morgen ist. Es war tatsächlich in vielen Fällen so, dass die Mathematik schon die Formeln und Kenntnisse entwickelt hatte, ohne die viele Jahre später Entwicklungen nicht möglich gewesen wären. Andererseits bringt die Beschäftigung mit der reinen Mathematik für jeden einzelnen auch einen großen persönlichen Vorteil, der in der Fähigkeit zu klaren Definitionen, richtigen Schlussfolgerungen und einwandfreien Beweisen begründet ist. In der Schule sollte die reine Mathematik daher im Vordergrund stehen. Die sogenannten Anwendungen sind oft eher sehr komplexe Rätsel, die in der wirklichen Praxis von Fachleuten oder sogar Laien ganz anders gelöst würden.

 

Ein letztes Wort zu den Symbolen. Der Fortschritt in der Mathematik darf sich nicht in der Entwicklung immer neuer Symbole äußern. Diese haben ihren großen Wert, wenn sie einfach verständlich sind und häufig angewandt werden müssen. Ein Beispiel ist das Summenzeichen, das natürlich viel einfacher zu gebrauchen ist als ein immer wiederkehrender Satz „bilde die Summe von Elementen ...“. Es ist wie in der Computertechnik, bei der die Kosten für die Entwicklung eines Rechenprogramms an der Zahl der Anwendungen und dem erzielbaren Preis oder Nutzen zu messen ist. Wir sollten uns auch an die Gründe für die Reformation erinnern, die wenigstens zum Teil darin begründet waren, dass die Allgemeinheit die Bibel in der lateinischen Sprache nicht verstehen konnte.

 

Abschließend vielleicht ein Tipp für Schüler und Studenten: lernt einfach manche Formeln und Bedingungen dazu, wenn ihr sie nicht auf Anhieb versteht, wenigstens zu einem Teil auswendig. Wenn ihr dann bei Aufgaben systematisch die Bedingungen prüft und mit den passenden Formeln arbeitet, führt dies (nicht immer aber sehr häufig) zum richtigen Ziel. Der Versuch, Mathematik verstehen zu wollen, ist mindestens ebenso anspruchsvoll und zeitaufwändig wie der, eine Sprache verstehen zu wollen. Eine Sprache kann man relativ leicht lernen; für das Verstehen sind umfangreiche und tiefgründige Untersuchungen erforderlich. In der Mathematik können selbst einfache Begriffe wie Mengen oder Zahlen zu erheblichen Schwierigkeiten führen, deren Lösung dann wirklich etwas für Fachleute ist.

 

 

Literatur

 

Albrecht Beutelspacher, Mathematik für die Westentasche – Von Abakus bis Zufall, (2001), R. Piper Verlag, München.

 

Albrecht Beutelspacher, Christian und die Zahlenkünstler – Eine Reise in die wundersame Welt der Mathematik, (2005), Verlag C. H. Beck, München.

 

Richard Courant and Herbert Robbins, Was ist Mathematik? 5. Aufl., (2001), Springer-Verlag, Berlin.

 

Keith Devlin, Sternstunden der modernen Mathematik, (1997), Deutscher Taschenbuch Verlag, München.

 

Keith Devlin, Das Mathe-Gen, (2003), Deutscher Taschenbuch Verlag, München.

 

Herbert Meschkowski, Mathematik verständlich dargestellt, (1991), Lizenzausgabe Weltbild Verlag, Augsburg; R. Piper Verlag, München.

 

Simon Singh, Fermats letzter Satz – Die abenteuerliche Geschichte eines mathematischen Rätsels, (1998), Carl Hanser Verlag, München.

 

Heinrich Tietze, Gelöste und ungelöste mathematische Probleme aus alter und neuer Zeit, 6. Aufl., (1973), Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München.